Berufsbilder verändern sich. Jetzt braucht es den engen Dialog von Politik, Unternehmen und Weiterbildungsbranche.
Berlin | Die Konrad-Adenauer-Stiftung und die Stiftung „Neue Verantwortung“ haben eine Studie zu den zu erwartenden Auswirkungen der Digitalisierung auf den deutschen Arbeitsmarkt veröffentlicht. Darin wird die deutsche Sichtweise auf die Industrie 4.0 um den Blick auf den Dienstleistungssektor ergänzt. Der Dienstleistungssektor ist größer als der industrielle Bereich; er steht „vor den größten Umwälzungen“, so der Autor, der den Wegfall vieler Arbeitsplätze in den Bereichen Handel, Banken, Finanzwesen, aber auch Sprachvermittlung und viele andere prognostiziert.
Der Dienstleistungssektor ist zu wenig im Fokus
Der Verfasser der Studie, Philippe Lorenz, rät dazu, die Entscheider in Politik und Wirtschaft sollten in der Debatte über die Zukunft der Erwerbstätigkeit den Dienstleistungssektor deutlich stärker in den Blick nehmen. Die Diskussion sei in Deutschland zu sehr auf die Transformation des produzierenden Gewerbes ausgerichtet, dominiert von „Industrie 4.0“; dabei seien die Szenarien rund um Dienstleistungsjobs viel umfassender und pessimistischer. Wirtschaftspolitik dürfe angesichts dieser Entwicklungen nicht nur Industriepolitik sein. Es sei der Dienstleistungssektor, der „vor den größten Umwälzungen steht“. Auch in Deutschland seien dort deutlich mehr Menschen beschäftigt als im produzierenden Gewerbe. Um die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt in Deutschland zu verstehen, sei es dringend notwendig, diesem Tätigkeitsbereich „die gleiche Bedeutung bei der Untersuchung der Veränderungsprozesse beizumessen“ wie dem Industriesektor.
Risiken für die Gesellschaft
Unser Steuer- und Gesellschaftssystem basiert in erster Linie auf Erwerbseinkommen. Angesichts der rasanten Fortschritte in der Robotik und Künstlichen Intelligenz werden hier eher negative Beschäftigungseffekte gesehen. Vor allem im Dienstleistungssektor befürchten die Autoren „deutliche Rationalisierungseffekte und eine Abkehr vom Normalarbeitsverhältnis“. Durch den Wegfall sozialversicherter, fester Arbeitsplätze würden Menschen in diesem Szenario in die „Gig Economy“ getrieben und schlügen sich von einem oft schlecht bezahlten Auftrag zum nächsten gerade so durch.
Folgerungen der Studie
Dem Bundesarbeitsministerium werden übrigens gute Noten gegeben: Die „ganzheitliche, branchenübergreifende Betrachtung der zukünftigen Arbeitsmarktprozesse“ hebt der Autor positiv hervor. Dementsprechend fänden sich langsam auch mehr Belege dafür, dass es „auch im Dienstleistungssektor zu negativen Entwicklungen für Berufsbilder kommt, die bislang als relativ sicher galten“. Das Feld Finanz- und Rechnungswesen nebst Buchhaltung etwa weiche dabei „ähnlich negativ vom Basisszenario ab, wie die gefährdeten Berufsgruppen im verarbeitenden Gewerbe“. Insgesamt würden aber „Potenziale neuer Technologieanwendungen im Dienstleistungssektor“, die sich heute schon teils deutlich abzeichneten, hierzulande nicht ausreichend gewürdigt. Dazu kommen dem Forscher zufolge etwa „Spracherkennungssysteme statt Übersetzer“; auch Bürotätigkeiten wie die Terminkoordination sowie Jobs von Kassierern oder Einzelhandelskaufleuten fielen verstärkt weg. Industriepolitische Strategien reichten also nicht aus, um den Wandel des gesamten Arbeitsmarktes adäquat zu adressieren. Es ist erforderlich, Veränderungen von Tätigkeiten frühzeitig zu analysieren und darauf aufbauend die Aus-, Weiter- und Fortbildung zu fördern. Berufliche Qualifikation darf nicht allein in der Verantwortung des einzelnen Arbeitnehmers liegen, sondern sollte von der Wirtschaft, den Gewerkschaften und der Politik unterstützt werden. Entscheidend ist daher, dass der geplante Umbau der Bundesagentur für Arbeit zur „Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung“ erfolgreich vonstattengeht, wobei die Weiterbildner mit einbezogen werden müssen.
Walter Würfel