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Grüne Weiterbildungs- und Arbeitsmarktpolitik

Brigitte Pothmer MdB ist Mitglied des Deutschen Bundestages und Arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen

Berlin | Das grüne Ideal ist eine Arbeitsmarktpolitik, die alle Menschen optimal unterstützt – unabhängig davon, ob sie beschäftigt oder selbständig sind, ob sie ALG I oder ALG II beziehen, egal wie alt sie sind oder welche Voraussetzungen sie mitbringen. Dafür müssen Grundsicherung und Arbeitslosenversicherung gute Rahmenbedingungen bieten und mit genügend Geld, genügend Personal und flexiblen Instrumenten ausgestattet werden. Davon sind wir vor allem im Hartz-IV-System weit entfernt.

Zurzeit ist die Weiterbildung in aller Munde – und das ist auch gut so. Entscheidend ist, dass lebenslanges Lernen, das im Zuge der Digitalisierung immer wichtiger wird, nicht mehr nur in Sonntagsreden hochgehalten wird. Bislang sieht der Weiterbildungsalltag eher trist aus. Nur die Hälfte der Erwachsenen nimmt überhaupt an beruflichen Weiterbildungen teil. Unterrepräsentiert sind Geringqualifizierte, aber auch Migranten, Ältere oder Frauen. So wird Ungleichheit zementiert – auch in der Arbeitsförderung.

Besonders problematisch ist das in der Grundsicherung, weil dort knapp 60 Prozent der Arbeitslosen keine Berufsausbildung haben und jeder Fünfte nicht einmal über einen Schulabschluss verfügt. Trotzdem spielen Qualifizierungen nur eine untergeordnete Rolle, wofür auch der im SGB II immer noch geltende Vermittlungsvorrang sorgt.

Das ist kurzsichtig. Studien zeigen, dass Arbeitslose erheblich von Weiterbildungen profitieren. Sie finden besser bezahlte Arbeit und werden seltener wieder arbeitslos. Längere Weiterbildungen und Umschulungen sind dabei am wirkungsvollsten, vor allem bei arbeitsmarktfernen Menschen. Diese Erkenntnisse müssen wir endlich ernst nehmen und einen Strategiewechsel einleiten.

Dabei geht es nicht nur um mehr Qualifizierungen, sondern um eine grundsätzliche Neuausrichtung der Arbeitsförderung. Dies ist besonders wichtig, weil wir es nicht nur mit einer anhaltend hohen Langzeitarbeitslosigkeit zu tun haben, sondern zusätzlich durch die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen gefordert sind.

Studien zeigen, dass Arbeitslose erheblich von Weiterbildungen profitieren.

Statt Arbeitslose mit unterschiedlichen und oft komplexen Problemlagen weiter über einen Kamm zu scheren, müssen die Weichen in Richtung individueller und nachhaltiger Integrationen gestellt werden. Passgenaue Strategien erfordern flexible Instrumente, die je nach Ausgangslage angeglichen und kombiniert werden müssen. Es genügt nicht, Arbeitsuchende in gerade zur Verfügung stehende Maßnahmen zu verfrachten. Auch der Trend zu immer kleinteiligeren Sonderprogrammen muss gestoppt werden. Sie verursachen hohen bürokratischen Aufwand, binden viel Geld und schaffen keine nachhaltigen Strukturen; laufen Programm und Finanzierung aus, bricht alles wieder zusammen.

Auch andere Rahmenbedingungen müssen stimmen. Die Jobcenter brauchen genügend Geld …

Darum wollen wir weg von Ineffizienz, 08/15-Angeboten und vom „Programm- Hopping“. Das heißt für uns auch, dass in der Arbeitsförderung nicht nur der schnelle Erfolg vom Steuerungssystem honoriert werden darf: Auch das Erreichen von Zwischenzielen oder qualitative Fortschritte im Integrationsprozess müssen sich „auszahlen“, so dass auch endlich die Arbeitslosen erreicht werden, die am meisten Unterstützung brauchen. Das erfordert zudem einen Paradigmenwechsel und die Abkehr von der Auffassung, einfach jeder könne in Arbeit vermittelt werden. Rund 400 000 Arbeitslose haben absehbar keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt. Sie brauchen für die Teilhabe an Arbeit endlich den verlässlichen Sozialen Arbeitsmarkt und den Passiv-Aktiv-Transfer nach dem Prinzip „Arbeit fi nanzieren statt Arbeitslosigkeit“.

Auch andere Rahmenbedingungen müssen stimmen. Die Jobcenter brauchen genügend Geld für Personal und Sachmittel. Nur so kann das Umschichten von Mitteln – zuletzt floss eine dreiviertel Milliarde Euro vom Förder- in den Verwaltungstopf – gestoppt werden. Notwendig sind darüber hinaus an Qualität orientierte Vergabeverfahren und die anständige Bezahlung der Fachkräfte in der Weiterbildung. Allein das sichert qualifizierte Mitarbeiter, erfolgreiche Maßnahmen und nachhaltige Integrationen.

Auch in der Arbeitslosenversicherung sehen wir Reformbedarf. Sie muss auf die digitale Zukunft ausgerichtet werden und wieder mehr Menschen Schutz bieten, gerade wenn sie nicht im Normalarbeitsverhältnis arbeiten. Aber nicht nur der Zugang zur Arbeitslosenversicherung muss erleichtert werden. Sie darf zukünftig nicht erst im „Versicherungsfall Arbeitslosigkeit“ tätig werden, sondern muss viel mehr Beschäftigte vorbeugend mit Qualifizierungen unterstützen, um im besten Fall Arbeitslosigkeit ganz zu vermeiden.

Brigitte Pothmer, MdB

Anmerkung der Redaktion

Im Vorfeld der im September stattfinden Bundestagswahlen befragt der BBB-Infobrief die im Bundestag vertretenen Parteien nach ihren Vorstellungen zur Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik. In der Februar-Ausgabe veröffentlichten wir einen Gastbeitrag von Katja Mast, Sprecherin der SPD-Fraktion für Arbeit und Soziales. In dieser Ausgabe bezieht Brigitte Pothmer, Arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Position, im Juni die CDU und im August DIE LINKE.

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