I. Vorbemerkung
Der Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (BBB), der Verband Deutscher Privatschulverbände (VDP) und die bag arbeit begrüßen die grundsätzliche Intention des Gesetzes, Förderinstrumente der Arbeitsmarktpolitik für Beschäftigte und Ausbildungssuchende weiterzuentwickeln, um der beschleunigten Transformation der Arbeitswelt erfolgreich zu begegnen, strukturwandelbedingte Arbeitslosigkeit zu vermeiden, Weiterbildung zu stärken und die Fachkräftebasis zu sichern. Wir würdigen zugleich den gesetzgeberischen Ehrgeiz, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben möglichst zügig und umfassend umzusetzen. Allerdings begegnen dem jetzt vorgelegtem Entwurf einige durchaus erhebliche Bedenken, die es unseres Erachtens geboten erscheinen lassen, den hier gewählten Ansatz noch einmal grundsätzlich zu überdenken.
Nachfolgend nehmen wir nur zu einzelnen, zentralen Punkten Stellung, wie sie im Rahmen des Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung und der Einführung einer Bildungszeit (Weiterbildungsgesetz) umgesetzt werden sollen. Unser Blick richtet sich dabei auf die Anwender („Kunden“) und mittelbar auch auf die umsetzende Verwaltung.
II. Reform der Weiterbildungsförderung Beschäftigter nach § 82 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) – Qualifizierungsgeld (§ 82a neu)
Zielgruppe des Qualifizierungsgeldes sind laut Entwurf „Beschäftigte, denen im besonderen Maße durch die Transformation der Verlust von Arbeitsplätzen droht, bei denen Weiterbildungen jedoch eine zukunftssichere Beschäftigung im gleichen Unternehmen ermöglichen können“. Fördervoraussetzungen des Qualifizierungsgeldes sind ein strukturwandelbedingter Qualifizierungsbedarf eines nicht unerheblichen Teils der Belegschaft und eine entsprechende Betriebsvereinbarung oder ein entsprechender betriebsbezogener Tarifvertrag. Das Qualifizierungsgeld wird als Entgeltersatz in Höhe von 60 beziehungsweise 67 Prozent des Nettoentgeltes, welches durch die Weiterbildung entfällt, unabhängig von der Betriebsgröße, dem Alter oder der Qualifikation der Beschäftigten, geleistet.
- Begrifflichkeiten
Der Gesetzentwurf verwendet zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe und abstrakte Formulierungen, die in der Praxis zu Problemen führen können, zumal der Bundesagentur für Arbeit in § 82a Absatz 3 ein umfassendes Ermessen eingeräumt wird. Der zentrale Begriff des strukturwandelbedingten Qualifizierungsbedarfs (§ 82a Absatz 2 Nummer 1) wird nicht näher definiert oder spezifiziert. Er ist aber schon deshalb zu differenzieren, weil er vom nicht strukturbedingten Qualifizierungsbedarf abzugrenzen sein muss, den das neue Gesetz ausdrücklich nicht umfassen soll.
Damit einher geht die Frage, was denn der „nicht unerhebliche Teil der Belegschaft“ sein soll: Stellt die Bezugsgröße das gesamte Unternehmen dar oder nur einzelne Bereiche? Beispiel: In einem Unternehmen mit 500 MA ist eine Abteilung von etwa einem Fünftel der Belegschaft (100 MA) voll vom Strukturwandel betroffen und meldet entsprechenden Weiterbildungsbedarf an. Nach dem Wortlaut des GesE würde dies nicht ausreichen, nach der Intention des Gesetzes müsste es das aber.
Die Höhe des Qualifizierungsgeldes gem. § 82b Absatz 1 beträgt analog der KUG-Regeln 60 bzw. 67 Prozent des Nettoentgelts im Referenzzeitraum. Referenzzeitraum soll der letzte Abrechnungszeitraum sein, welcher spätestens drei Monate vor Anspruchsbeginn abgerechnet wurde. Diese Regelung erscheint sinnvoll, statt eines Bezugs zur (technischen) Abrechnung sollte hier allerdings auf den (materiellrechtlichen) Entstehungszeitpunkt des Entgeltsanspruchs abgestellt werden.
- Voraussetzungen
Während an anderer Stelle Differenzierungen fehlen, wird im Gesetzentwurf ein besonderer Wert auf die Beachtung der Betriebsgrößen gelegt und die daran anknüpfenden Voraussetzungen für die Inanspruchnahme sehr unterschiedlich ausgestaltet.
Der neue § 82a Abs. 2 differenziert nach Betriebsgröße: bereits bei mehr als 10 Mitarbeitern ist ein Tarifvertrag bzw. eine Betriebsvereinbarung zwingend erforderlich. Dies ist nicht praktikabel. Wir stehen tarifvertraglichen Regeln aufgeschlossen gegenüber, lehnen aber eine faktisch zwangsweise Verknüpfung ab. Die vorgeschlagene Weiterbildungsförderung muss ausnahmslos von allen Betrieben genutzt werden dürfen. Entgegen dieser im Gesetz enthaltenen Unterscheidung nach Größe sollte die bei Kleinunternehmen unter 10 MA mögliche, schriftliche Erklärung des Arbeitgebers in allen Fällen – heißt für alle Betriebe – grundsätzlich ausreichend sein, zumal dieser Begründungs- und Dokumentationspflichten unterliegt.
Dies sollte auch für den Prozentsatz der betroffenen Beschäftigten gelten (§ 82a Absatz 2 Satz 2). Einen sachlichen Grund, bei 250 Beschäftigten (KMU) die 10-Prozent-Grenze zu ziehen, ist nicht ersichtlich und wird im Entwurf auch nicht gegeben. Offensichtlich ist diese Regelung an den § 82 Absatz 5 Satz 2 SGB III angelehnt. Solange es keine überzeugenden Argumente gibt, halten wir eine einheitliche 10-Prozent-Regelung für vorzugswürdig, idealerweise auch hier den völligen Verzicht auf einen Betriebsgrößenbezug.
Viele bereits beim Qualifizierungschancengesetz (QCG) zu Problemen in der Praxis führenden Regeln werden leider unbesehen übernommen, so die 120-Stunden-Klausel in § 82a Absatz 1 Satz 5 oder besonders die Vierjahres-Ausschlussfrist im § 82a Absatz 4 Satz 2. Der Gesetzgeber tut gut daran, die seinerzeit geäußerten Bedenken und die eher bescheidenen Erfolge des QCG auch hier zu berücksichtigen und gründlich zu würdigen. Der wesentliche Inhalt des Entwurfs soll eine Reform der Weiterbildungsförderung Beschäftigter nach § 82 SGB III auch durch den technologischen Fortschritt betragen. Es werden dabei die Vorschrift zu geförderten Maßnahmen auf zwei Jahre verkürzt (S. 33). Eine Vierjahres-Ausschlussfrist im § 82a Absatz 4 Satz 2 steht dieser jedoch konträr gegenüber.
Die Einführung der Bildungszeit im neuen § 82a sollte auch zur Überarbeitung des § 82 SGB III genutzt werden und sich nicht auf die bloße Abgrenzung der Ansprüche in § 82a Absatz 5 Nummer 2 beschränken, die sich im Übrigen so einfach auch nicht durchführen lässt.
- Bürokratie und Kosten
Der Entwurf enthält einige Formulierungen, die einen erhöhten Verwaltungsaufwand befürchten lassen. So ist zwar gem. § 323 Absatz 3 Satz 2 eine elektronische Beantragung möglich, nach dem Wortlaut muss allerdings jede einzelne Zustimmung beigefügt werden! Neben unnötiger Bürokratie sind hier auch Datenschutzbelange massiv betroffen.
Besonders alarmierend sind die angesetzten Bearbeitungszeiten der Wirtschaft (S. 40) und der Verwaltung (S. 42) pro Fall. Wenn allein die Bearbeitung eines einzigen Antrags mit knapp 70 Minuten angesetzt ist, ist der Aufwand der Wirtschaft erfahrungsgemäß um ein Vielfaches höher. Die angesetzten Zeit- und Sachaufwände erscheinen deutlich zu niedrig und auch antiquiert, Portokosten passen ohnehin nicht mehr in die Zeit elektronischer Antragstellung.
Der Gesetzentwurf geht von lediglich 10.000 Förderfällen aus (S. 39), eine wenig ambitionierte Zahl. Der Erfüllungsaufwand für Wirtschaft und Verwaltung erscheint daher ebenfalls verkannt. So können wir die angegebenen Umstellungskosten von lediglich 84 000 € für die Verwaltung, davon 70 000 € auf IT-Verfahren und in Höhe von 14 000 € auf Umstellungen in Folge der rechtlichen Veränderungen usw. in dieser Höhe nicht nachvollziehen. Eine realistische Annahme von Aufwand und Kosten ist der Schlüssel für die erfolgreiche Umsetzung des Gesetzes.
III. Einführung einer Bildungs(teil)zeit, Bildungszeitgeld
Bildungs(teil)zeiten ergänzen die bestehenden Förderinstrumente zur Weiterbildung von Beschäftigten, um Förderlücken zu schließen und individuelle Beschäftigungsoptionen in Zeiten des beschleunigten Strukturwandels durch arbeitsmarktbezogene Weiterbildungen zu stärken. Eine Bildungs(teil)zeit unterstützt Beschäftigte dabei, ihre beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten eigenständig wahrzunehmen. Sie richtet sich insbesondere an Beschäftigte, deren Arbeitgeber ihnen kein passendes Weiterbildungsangebot macht. Stärker als bei der bisherigen Weiterbildungsförderung Beschäftigter geht die Bildungs(teil)zeit vom Beschäftigten aus und wird von den Beschäftigten selbst initiiert. Die (teilweise) Freistellung von der Arbeitszeit bedarf einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten. Während der Bildungs(teil)zeit sichert eine Entgeltersatzleistung den Lebensunterhalt. Die Dauer der Bildungszeit ist auf bis zu insgesamt zwölf Monate in Vollzeit beziehungsweise 24 Monate in Teilzeit begrenzt.
- Begrifflichkeiten
Auch die Intention der Bildungs(teil)zeit der §§ 87b bis § 87 g und den in § 87c Absatz 2 normierten Arbeitsmarktbezug der Maßnahmen begrüßen wir, insbesondere die Möglichkeit, Schulabschlüsse nachzuholen und Sprachen zu erwerben. Fraglich ist, warum die vorgesehene Bildungszeitförderung erst zum 01.01.25 in Kraft treten soll. Problematisch ist hier, dass die Förderung mit einem Bildungszeitgeld grundsätzlich offenbar nur in Frage kommt, wenn die AN ihre berufliche Weiterbildung selbst finanzieren (Ausnahme: sie erhalten ergänzende Leistungen nach dem SGB II). Hier wäre zu prüfen, ob eine solche Förderung (des während der Weiterbildungszeit entgangenen Lohns) nicht auch mit einer Förderung der Kosten der Weiterbildungsmaßnahme vom Grundsatz her kombiniert werden könnte.
Der Verweis auf Möglichkeiten der Teilqualifizierung ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig und sollte ausdrücklich Erwähnung finden, ggf. als Nummer 5 in § 87 Absatz 2.
- Voraussetzungen
Wir fordern eine größere Freiheit bei der Ausgestaltung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer und eine weniger bürokratische Regelung, als sie jetzt in § 87b und § 87c vorgesehen ist. Auch den betrieblichen Anforderungen muss jederzeit Rechnung getragen werden, das gilt vor allem für die vorgesehene Regelung des § 87b Absatz 1 Nummer 5.
Die geplante Übernahme der Weiterbildungskosten gem. § 87f Absatz 1 wird sehr begrüßt. Ob die nur hälftige Übernahme bei AN unterhalb von 75 Prozent der Bezugsgröße West (§ 87f Absatz 2) wirklich sinnvoll und geboten ist, sollte noch einmal diskutiert werden. Gerade dieser Zielgruppe soll doch das Gesetz besonders dienen.
IV. Ausbildungsgarantie
Um allen jungen Menschen, die nicht über einen Berufsabschluss verfügen, den Zugang zu einer vollqualifizierenden, möglichst betrieblichen Berufsausbildung zu eröffnen, wird eine Ausbildungsgarantie eingeführt. Diese soll ein Signal an junge Menschen sein, eine Ausbildung als Karriereoption wahrzunehmen. Zugleich setzt sie die europäische Jugendgarantie um, in dessen Rahmen sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union dazu bereiterklärt haben, jedem jungen Menschen ein Angebot für eine Beschäftigung, Ausbildung oder Weiterbildung zu unterbreiten.
Die Ausbildungsgarantie hat Empfehlungscharakter, ist kein Bestandteil des hier vorgelegten Gesetzesentwurfs und keine gesetzlich fixierte Ausbildungsgarantie. Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen soll, wo erforderlich, ergänzend genutzt werden, bleibt aber lt. Gesetzentwurf „ultima ratio“ (S. 59, zu Nummer 2).
Diese Formulierung erscheint zu weitgehend und den wird der steigenden Bedeutung der außerbetrieblichen Einrichtungen nicht mehr gerecht. Ein alternativer Formulierungsvorschlag für S.34 letzter Absatz wäre: Eine vollzeitschulische Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen soll gleichberechtigt genutzt werden können.
Uneingeschränkt zu begrüßen sind die Stärkung der Einstiegsqualifizierung und die beabsichtigte Unterstützung von Berufsorientierungspraktika nach § 48a SGB III. Fraglich ist aber, ob die betroffenen Jugendlichen bei der Organisation und Begleitung dieser Praktika allein gelassen werden sollen oder ob hier nicht ergänzend sozialpädagogische Unterstützungsangebote greifen könnten.
Ebenso zu begrüßen ist der vorgesehene Mobilitätszuschuss für Auszubildende nach § 73a SGB III, wobei diese Fördermöglichkeit bereits idealerweise schon zu Beginn des neuen Ausbildungsjahres (also ab dem 01.08.23) und nicht erst ab dem 01.12.23 (wie aktuell vorgesehen) greifen sollte.
Die Verlängerung der Erstattungen bei beruflicher Weiterbildung während Kurzarbeit begrüßen wir ebenfalls.
V. Evaluierung
Laut Gesetzentwurf soll zwischen BMAS und BA noch abgestimmt werden, ob es über die gesetzlichen Vorgaben des § 280 i.V.m. § 282 SGB III hinaus bis 2029 eine besondere Evaluation geben soll. Eine gründliche Evaluation erscheint uns dringend geboten, ist sie doch für eine sachgerechte Weiterentwicklung der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen unabdingbar, wie erst kürzlich die Debatte um das Bürgergeld gezeigt hat.
Stellungnahme als PDF (PDF | 226 kB)